Donnerstag, 19. September 2013

"Erdogan ist ein Kassierer des Zionismus"

Necmettin Erbakan hat den türkischen Islamismus erfunden und war Mentor von Premier Recep Tayyip Erdogan. Nun rechnet er mit ihm ab. Von
Necmettin Erbakan (r.) übt scharfe Kritik am türkischen Premier Recep Tayyip Erdogan
Foto: dpa Necmettin Erbakan (r.) übt scharfe Kritik am türkischen Premier Recep Tayyip Erdogan

Im Jahr 1969 gründete Necmettin Erbakan die Bewegung "Milli Görüs" (Nationale Sicht"). Ziel war eine Islamisierung der türkischen Gesellschaft, ausgehend von einer Islamisierung der Wirtschaft "von unten nach oben". Der Erfolg war seither spektakulär – Erbakan wurde 1997 Ministerpräsident, wurde aber vom Militär zum Rücktritt genötigt. Doch seine Thesen und Methoden waren Wegbereiter für die gegenwärtige AKP-Regierung. Deren Führer, Regierungschef Recep Tayyip Erdogan und Präsident Abdullah Gül starteten als Erbakans Zöglinge ins politische Leben, sagten sich aber später von ihm los. Nun sieht der 84 Jahre alte Fundamentalistenführer die Zeit gekommen, Erdogan von der Macht zu verdrängen, um wieder selbst zu regieren.
WELT ONLINE: Hodscha, 1997 waren Sie Ministerpräsident, aber Ihre Partei wurde wegen islamistischer Umtriebe verboten. Damals waren Ihre Wegbegleiter Erdogan und Gül. Hätten Sie sich damals vorstellen können, dass der eine später Ministerpräsident wird und der andere Staatschef?
Necmettin Erbakan: Ja. Ich wusste es, denn nicht ihre Leistungen haben sie dorthin gebracht. Andere Kräfte haben sie auf diese Positionen gesetzt.

WELT ONLINE: Welche Kräfte?



Erbakan: Die Kräfte der gegenwärtigen Weltordnung, des rassistischen, zionistischen Imperialismus, der die Menschen zu Sklaven macht.
WELT ONLINE: Erdogan ist ein Helfer Israels? Er schimpft doch immer gegen Tel Aviv.
Erbakan: Ein unbewusster Helfer der westlichen, zionistischen Weltordnung. Aber ein Helfer.
WELT ONLINE: Ich dachte immer, Sie wären sein Wegbereiter gewesen, nicht der Westen. Ohne Erbakan kein Erdogan. Sie waren sein politischer Ziehvater.
Erbakan: Es stimmt, er war mein Schüler, und ich habe ihm gesagt, was er tun soll. Er hat es aber nicht getan, und nun ist es an der Zeit für ihn, zur Seite zu treten oder seine Politik zu ändern.
WELT ONLINE: Eine Kampfansage an Erdogan also. Wo liegen denn seine Fehler?
Erbakan: Er hat einiges richtig gemacht. Kürzlich erschien, zum ersten Mal, die Frau des Staatspräsidenten mit Kopftuch zum Nationalfeiertag. Aber das meiste ist falsch – er will in die EU, die ist aber ein Glied der zionistischen Weltordnung. Gott sei Dank nimmt uns die EU nicht auf. Er vertritt auch die kapitalistische, zionistische Wirtschaftsordnung, die Steuern setzt und Schulden macht um das Geld, über die Zinsen, den Zionisten zu geben. Erdogan ist ein Kassierer des Zionismus geworden. Von ihrer Gründung 1923 bis vor acht Jahren hat die Türkei 82 Milliarden Dollar Schulden gemacht. Erdogan in nur acht Jahren 580 Milliarden.
WELT ONLINE: Und das Volk wird Ihnen diese Argumentation abnehmen?
Erbakan: Wir sind das Volk, deswegen verändern wir die Türkei. Wir vertreten dessen wahre Werte und Gefühle.
WELT ONLINE: Sie wollen also Ihren einstigen Zögling stürzen?
Erbakan: Ja. Das ist unser Ziel. Der legendäre Ministerpräsident kehrt zurück.
WELT ONLINE: Also Sie selbst. Mit ihren 84 Jahren haben Sie ja gerade gezeigt, dass Sie noch Herr sind im eigenen Hause sind, in Ihrer Saadet-Partei also. Sie haben Möchtegern-Reformer Kurtulus von der Parteispitze verdrängt und selbst wieder das Heft in die Hand genommen. Aber eine Mehrheit im Volk?
Erbakan: Wir werden nächstes Jahr die Wahlen gewinnen. In der Entwicklung unserer Zustimmungsquoten gab es Phasen, in denen CIA, Militär und Zionisten unsere Werte nach unten drückten. Aber wir sind nun wieder bei 15 Prozent und es wird weiter steigen.
WELT ONLINE: Es ist ja unbestreitbar, dass Sie enormen Einfluss auf die Entwicklung der Türkei in den letzten Jahrzehnten hatten. Ohne Sie kein Erdogan, keine Hinwendung der Türkei zu einer islamischeren Ordnung. Wie einflussreich Sie im Hintergrund sind, das hat auch der Zwischenfall mit der Hilfsflottille für Gaza gezeigt. Organisiert von der IHH ("Internationale Humanitäre Hilfsorganisation", die wegen ihrer Unterstützung der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas in Deutschland verboten ist, d. Red.), die zu der von Ihnen geschaffenen Milli-Görüs-Bewegung gehört. Da war die ganze Türkei Feuer und Flamme. Haben Sie die Aktion persönlich orchestriert?
Erbakan: Organisiert hat es die IHH. Wir haben sie in ihrem Vorhaben bestärkt.
WELT ONLINE: Ihre Freunde bei der IHH sagten mir, Erbakan sei der Einzige, der versteht, dass Israel nur mit Gewalt niedergerungen werden kann. Ist das wirklich Ihre Position?
Erbakan: Israel versteht nur die Sprache der Macht. Worte reichen nicht. Man muss Macht haben und demonstrieren, damit Israel versteht. Nicht Gewalt anwenden, aber Macht besitzen und demonstrieren.
WELT ONLINE: Ihr Leitmotiv ist die These einer im Geheimen funktionierenden, von Juden und Israel gelenkten Weltordnung. Ist das wirklich Ihr Weltbild?
Erbakan: Seit 5700 Jahren regieren Juden die Welt. Es ist eine Herrschaft des Unrechts, der Grausamkeit und der Gewalt. Sie haben einen starken Glauben, eine Religion, die ihnen sagt, dass sie die Welt beherrschen sollen. Sehen Sie sich diese Ein-Dollar-Note an. Darauf ist ein Symbol, eine Pyramide von 13 Stufen, mit einem Auge in der Spitze. Es ist das Symbol der zionistischen Weltherrschaft. Die Stufen stellen vier "offene" und andere geheime Gesellschaften dar, dahinter gibt es ein "Parlament der 300" und 33 Rabbinerparlamente, und dahinter noch andere, unsichtbare Lenker. Sie regieren die Welt über die kapitalistische Weltordnung.
WELT ONLINE: Sie wollen eine neue Gesellschaft schaffen und scheinen Israel als Hebel zu sehen, um die bestehende Weltordnung aus den Angeln zu heben. Soll Israel als Staat verschwinden?
Erbakan: Wir werden eine neue Welt schaffen, auf der Basis von Wissenschaft und Vernunft, auf den Grundlagen der gerechten Ordnung, die uns die Osmanen hinterließen. Darin bekommt jeder sein Recht, auf dem ihm angemessenen Platz. Auch den Juden und Christen würde so ihr Recht zuteil, auch sie würden befreit.
WELT ONLINE: Aber Israel als Staat?
Erbakan: Israel als Staat konnte nicht gegründet werden unter den Osmanen. Wir haben es verhindert, weil wir mächtig waren. Christen halfen den Juden immer bei dem Versuch, einen eigenen Staat zu haben – das war das wahre Ziel der Kreuzzüge. Denn die Juden täuschen den Christen vor, dass der Messias zurückkehren wird, wenn der Tempel Salomons wieder errichtet wird. Israel aber sagt, ich werde alle Zionisten sammeln in einem Großisrael, und werde Herr sein, und ihr seid meine Sklaven. Um einer solchen Haltung zu begegnen, muss man Macht demonstrieren.
WELT ONLINE: Also weg mit Israel, wenn es nach Ihnen geht?
Erbakan: Wenn die Israelis in Frieden leben wollen, wäre es vielleicht besser, wenn sie zum Beispiel in Amerika lebten.
WELT ONLINE: Alles in allem also sollen die Türkei als führende muslimische Nation und der Islam dem Planeten eine neue, gerechtere Ordnung geben? Das ist doch ihr Motto: Eine Große Türkei, eine Neue Welt.
Erbakan: Politisch und geistig groß, nicht geografisch größer als heute.
WELT ONLINE: Und der Islam wird die beherrschende Religion des Planeten?
Erbakan: Wir werden nur durch Kultur, Wissenschaft und Vernunft sprechen.
WELT ONLINE: Ich bin Katholik und empfinde "westlich" und freiheitlich. Ich bin stolz auf meine Kultur und liebe meine Religion, können Sie verstehen, dass ich Ihre Weltsicht als Bedrohung für meine Kultur empfinde?
Erbakan: Es liegt mir fern, einen lieben Gast zu bedrohen. Aber meine Güte und meine Liebe für Sie gebieten mir, Ihnen die Wahrheit zu zeigen. Dafür bräuchten Sie natürlich Zeit, um die Lehre zu verstehen.
WELT ONLINE: Sie sagen, der Islam ist besser als meine Religion, und das verletzt mich.
Erbakan: Vielleicht ist es umgekehrt so, dass Sie Ihre Religion als überlegen empfinden. Wenn man schon die perfekte Wahrheit hat, warum sollte man sich mit weniger begnügen? Sehen Sie, Ihre Religion kennt drei Götter, ist es nicht so? Damit ist die Diskussion ja schon beendet.
WELT ONLINE: Zurück zu Ihrem Lebenswerk. Sie haben die Türkei geprägt, aber wie sehr hat Deutschland Sie geprägt? Sie haben dort ja lange gelebt und gearbeitet.
Erbakan: Ich habe da viel gelernt und viel Schönes gesehen. Ich nahm unter anderem an einem Projekt im Auftrag von Ludwig Erhard teil. Da ging es darum zu erfahren, wofür die Gelder des Marschall-Plans verwendet wurden. Ich musste 15 Tage durch Deutschland reisen dafür. Der Reiseplan war erstaunlich – jedes Detail bis hin zu Sitzordnungen geplant. Hier in der Türkei reisen wir auch, da greift man morgens zum Telefon und sagt, wir kommen dann heute. Also diese Ernsthaftigkeit und Organisiertheit, davon habe ich viel gelernt. Details sind wichtig. Aber es gab auch große Mängel in Deutschland.?
WELT ONLINE: Zum Beispiel?
Erbakan: Man kannte dort den Islam nicht. Ohne den Islam kann Deutschland nie die Perfektion erreichen. Ich sagte meinen Kollegen: Ihr verlangt Honorare für die Nutzung von Patenten. Wisst Ihr wie viel Geld Ihr dem Islam schuldet? Ihr rechnet mit arabischen Ziffern, Algebra ist ein arabisches Wort.

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