Mittwoch, 7. Dezember 2011

Geopolitisches Schachbrett: Teile, erobere und beherrsche den »neuen Nahen und Mittleren Osten«

Der Ausdruck »Arabischer Frühling« ist ein Schlagwort, das in weit entfernten Büros in Washington, London, Paris und Brüssel von Personen oder Gruppen erfunden wurde, die sehr wenig über die Araber wissen und keinesfalls über irgendwelches Expertenwissen über die Region verfügen. Was sich derzeit in den arabischen Bevölkerungen entwickelt, besitzt keine homogene Struktur, sondern ist von vielfältigen Faktoren bestimmt. Der Wille zum Aufstand gehört ebenso wie Opportunismus dazu. Und jede Revolution ist mit einer Gegenrevolution konfrontiert.


Die Aufstände und Proteste in der arabischen Welt stellen auch kein »arabisches Erwachen« dar; ein solcher Begriff setzte voraus, dass die Araber die ganze Zeit geschlafen hätten, während um sie herum Diktatur und Ungerechtigkeit herrschten.
Im Gegensatz zu dieser landläufigen Auffassung kam es in der arabischen Welt, die zur umfassenderen turko-arabisch-iranischen Welt gehört, immer wieder zu Aufständen, die von den arabischen Diktatoren dann in Absprache mit und mit Unterstützung von Ländern wie den USA, Vereinigte Königreich und Frankreich niedergeschlagen wurden. Die Einmischung dieser Mächte trat immer als Gegengewicht zur Demokratie auf, und dies wird wohl auch so bleiben.


Teile und herrsche: Wie der erste »arabische Frühling« manipuliert und inszeniert wurde
 
Die ersten Pläne für eine Umgestaltung des Nahen und Mittleren Ostens wurden bereits Jahre vor dem Ersten Weltkrieg geschmiedet. Aber während dieses Ersten Weltkriegs zeichneten sich mit der »arabischen Revolte« (1916-1918) die Umrisse dieser von kolonialem Denken geprägten Entwürfe immer deutlicher ab.
Obwohl Briten, Franzosen und Italiener als Kolonialmächte den Arabern jegliche Freiheiten verwehrten, gelang es ihnen, sich in der Außenwahrnehmung als Freunde und Verbündete der »arabischen Befreiung« zu präsentieren.
Im Verlauf der »arabischen Revolte« benutzten Engländer und Franzosen die Araber als Fußsoldaten gegen das Osmanische Reich, um ihre eigenen geopolitischen Ziele durchzusetzen. Das geheime Sykes-Picot-Abkommen (vom 16. Mai 1916, in dem London und Paris den Nahen Osten nach der Zerschlagung des Osmanischen Reiches unter sich aufteilten) ist ein klassisches Beispiel dieser Politik. Frankreich und das Vereinigte Königreich  gelang es, die Araber zu benutzen und zu manipulieren, indem sie ihnen die »Befreiung vom Joch« des Osmanischen Reiches vorgaukelten.
In Wirklichkeit war das Osmanische Reich ein Vielvölkerstaat, der seinen unterschiedlichen Bevölkerungen lokale und kulturelle Autonomie einräumte, aber dann dazu manipuliert wurde, sich in Richtung eines nationalistisch ausgerichteten türkischen Einheitsstaats zu entwickeln. Selbst der Völkermord an den Armeniern, der im osmanischen Anatolien [während des Ersten Weltkriegs unter der jungtürkischen Regierung] erfolgte, muss in den gleichen Zusammenhang wie die Verfolgung der Christen im Irak gestellt und analysiert werden, nämlich als Teil einer konfessionellen Hysterie, die von äußeren Mächten geschürt wurde, um Anatolien und die Bevölkerung des Osmanischen Reiches zu spalten und gegeneinander aufzuhetzen.
Nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reichs waren es dann London und Paris, die den Arabern die Freiheit verweigerten und gleichzeitig Zwietracht unter den verschiedenen arabischen Völkern säten. Lokale korrupte arabische Herrscher waren auch an diesen Machenschaften beteiligt, und viele von ihnen schätzten sich glücklich, Vasallen Englands und Frankreichs zu werden. Im gleichen Sinne wird der »arabische Frühling« auch heute manipuliert. Die USA, Vereinigte Königreich, Frankreich und andere sind dabei, mit Hilfe korrupter arabischer Führer und Handlanger die arabische Welt und Afrika neu zu strukturieren.

Der Yinon-Plan: Ordnung aus dem Chaos…
Der Yinon-Plan ist ein israelischer Strategieplan, der die regionale israelische Überlegenheit zementieren soll und insofern eine Fortsetzung der britischen strategischen Zielplanung darstellt. Er drängt darauf, dass Israel seine geopolitische Umgebung über eine Balkanisierung des Nahen und Mittleren Ostens und der arabischen Staaten in kleinere und schwächer staatliche Gebilde umgestalten müsse.
Israelische Strategieexperten sahen den Irak als die größte strategische Herausforderung seitens der arabischen Staaten an. Aus diesem Grunde stand der Irak im Zentrum der Balkanisierung des Nahen und Mittleren Ostens und der arabischen Welt. Auf der Grundlage der Konzepte des Yinon-Plans haben israelische Strategen die Aufteilung des Irak in einen kurdischen Staat und zwei arabische – einen schiitischen und einen sunnitischen – Staaten gefordert. Den ersten Schritt zur Umsetzung dieser Pläne bildete der Krieg zwischen dem Irak und dem Iran, der schon im  Yinon-Plan [dieses 1982 veröffentlichte Strategiepapier wurde nach seinem Verfasser Oded Yinon, einem hochrangigen Mitarbeiter des israelischen Außenministeriums, benannt] erörtert worden war.
Die Zeitschrift The Atlantic und das amerikanische Armed Forces Journal veröffentlichten beide 2006 weitverbreitete Karten, die sich an den Vorstellungen des Yinon-Plans orientierten. Neben einem dreigeteilten Irak, den auch der so genannte »Biden-Plan« des heutigen amerikanischen Vizepräsidenten Joe Biden vorsah, setzte sich der Yinon-Plan auch für eine Aufteilung des Libanon, Ägyptens und Syriens ein. Auch die Zersplitterung des Iran, der Türkei, Somalias und Pakistans passt in das Konzept dieser Politik. Darüber hinaus befürwortet der Yinon-Plan eine Auflösung [der existierenden staatlichen Strukturen] Nordafrikas, die, so prognostiziert er, von Ägypten ausgehen und dann auf den Sudan, Libyen und den Rest der Region übergreifen werde.


 Die Karte des «neuer Naher Osten» wurde von Oberstleutnant Ralph Peters angefertigt.
Sie wurde im Juni 2006 im Armed Forces Journal veröffentlicht. Peters ist pensionierter Offizier der US National War Academy.

Sicherung des »Reichs«: die arabische Welt auf eine neue Grundlage stellen…
Obwohl der Yinon-Plan verschiedentlich angepasst und überarbeitet wurde, wurde er im Zusammenhang mit dem Grundsatzpapier Clean Break (»Sauberer Bruch«) erneut wiederaufgegriffen. Bei Clean Break handelt es sich um ein politisches Strategiepapier, das 1996 von Richard Perle und der Arbeitsgruppe »Eine neue israelische Strategie für das Jahr 2000« für den damaligen israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu geschrieben wurde. ein vollständiger Titel lautet: »Ein sauberer Bruch: Eine neue Strategie zur Sicherung des Reichs«. Perle war unter Reagan Staatsekretär im Verteidigungsministerium und hatte später George W. Bush und dem Weißen Haus als Militärberater gedient. Neben Perle gehörten der Arbeitsgruppe unter anderem James Colbert (JINSA – Jewish Institute for National Security Affairs), Charles Fairbanks (Johns-Hopkins-Universität), Douglas Feith (Feith and Zell Associates), Robert Loewenberg (Institute for Advanced Strategic and Political Studies), Jonathan Torop (The Washington Institute for Near East Policy) sowie David Wurmser (Institute for Advanced Strategic and Political Studies) und Meyrav Wurmser (Johns-Hopkins-Universität) an. 
 
In vieler Hinsicht sind die USA derzeit dabei, die Zielvorgaben umzusetzen, die in dem Strategiepapier von 1996 zur Sicherung des »Reichs« ausgeführt worden waren. Darüber hinaus wirft der Begriff »realm« (»Reich, Herrschaftsgebiet«) im Titel ein bezeichnendes Licht auf den Geisteszustand der Verfasser. »Realm« bezieht sich entweder auf das Territorium, das von einem König beherrscht wird, oder auf die Gebiete, die zwar unter der Herrschaft eines Monarchen stehen, aber nicht von ihm selbst, sondern von Vasallen kontrolliert werden. In diesem Zusammenhang wird der Begriff so benutzt, als wären der Nahe und Mittlere Osten das Herrschaftsgebiet Tel Avivs. ass Perle als jemand, der seine Karriere im Dunstkreis des Pentagon gemacht hat, als Mitverfasser an dem Strategiepapier beteiligt war, wirft die Frage auf, ob es sich beim Souverän dieses Reichs nun um Israel, die USA oder sogar beide handelt?Sicherung des »Reichs«: Die israelischen Pläne zur Destabilisierung von Damaskus
In dem israelischen Papier aus dem Jahr 1996 wird gefordert, bis zum Jahr 2000 oder später den  Einfluss Syriens zurückzudrängen. Dazu sollen die Syrer aus dem Libanon hinausgedrängt und die Arabische Republik Syrien mit Hilfe Jordaniens und der Türkei destabilisiert werden. Dieser Prozess vollzog sich in den Jahren 2005 beziehungsweise 2010. In dem Papier heißt es: »Israel kann seine strategische Umgebung in Zusammenarbeit mit der Türkei und Jordanien durch Schwächung, Eindämmung und sogar dadurch umgestalten, dass Syrien zurückgedrängt wird. Im Rahmen dieser Bemühungen kann man sich darauf konzentrieren, im Irak Saddam Hussein zu stürzen – ein wichtiges Ziel, auf das Israel eigenständig hinarbeiten sollte –, um so den syrischen Ambitionen in der Region entgegenzutreten.«[1] 

Als einen ersten Schritt in Richtung des Aufbaus eines von Israel dominierten »neuen Nahen und Mittleren Ostens« und der Einkreisung Syriens fordert Clean Break den Sturz Saddam Husseins in Bagdad und fasst sogar eine mögliche Balkanisierung des Irak und die Bildung eines strategischen regionalen Bündnisses gegen Damaskus unter Beteiligung eines sunnitischen »Zentraliraks« ins Auge. Die Verfasser schreiben: »Aber Syrien tritt in diesen Konflikt mit einer potenziellen Schwäche ein: Damaskus ist zu sehr mit dem bedrohten neuen regionalen Gleichgewicht beschäftigt, als dass es sich Ablenkungen an der libanesischen Flanke leisten könnte. Und Damaskus befürchtet, dass die ›natürliche Achse‹ mit Israel auf der einen und dem Mittelirak und der Türkei auf der anderen Seite sowie Jordanien im Zentrum Syrien unter Druck setzen und von der saudischen Halbinsel abtrennen könnte. Aus syrischer Sicht könnte dies das Vorspiel zu einer Neugestaltung der Landkarte des Nahen und Mittleren Ostens bilden, die die territoriale Integrität Syriens bedrohen würde.«[2] 

Perle und seine Kollegen aus der Arbeitsgruppe »Eine neue israelische Strategie für das Jahr 2000« fordern zudem die Vertreibung der Syrer aus dem Libanon und die Destabilisierung Syriens durch libanesische Oppositionelle. In der Schrift heißt es: »[Israel muss] die syrische Aufmerksamkeit ablenken, indem libanesische Oppositionelle dazu benutzt werden, die syrische Kontrolle des Libanon zu schwächen.«[3] Genau das geschah nach der Ermordung [des früheren libanesischen Ministerpräsidenten] Rafik al-Hariri 2005, die mit zum Ausbruch der »Zedern-Revolution« beitrug und zur Bildung des extrem gegen Syrien eingestellten »Bündnisses vom 14. März « ührte, das vom korrupten Said al-Hariri kontrolliert wird. 

In Clean Break wird Tel Aviv auch aufgefordert, die »historische Chance zu ergreifen, der Welt die wahre Natur des syrischen Regimes ins Gedächtnis zu rufen«[4]. Dies fällt in den Bereich der israelischen Strategie der Dämonisierung seiner Gegner durch gezielte Beeinflussung der Öffentlichkeit, eben PR-Kampagnen. 2009 räumten israelische Medien offen ein, dass Tel Aviv über seine Botschaften und diplomatischen Missionen weltweit eine Kampagne gestartet hätte, um die iranischen Präsidentschaftswahlen in Misskredit zu bringen, noch bevor diese überhaupt stattgefunden hatten. Im Zentrum standen dabei Medienkampagnen und organisierte Demonstrationen vor iranischen Botschaften.[5] 

In dem Strategiepapier wird auch etwas erwähnt, das an die derzeitigen Ereignisse im Zusammenhang mit Syrien erinnert. Man liest dort: »Umso wichtiger ist, dass Israel verständlicherweise ein Interesse daran hat, ein Vorgehen der Türkei und Jordaniens gegen Syrien diplomatisch, militärisch und operationell zu unterstützen. Dazu zählt etwa, Bündnisse mit arabischen Stämmen einzugehen und aufrechtzuerhalten, deren Gebiet bis nach Syrien hineinreicht und die der herrschenden Elite Syriens feindlich gesonnen sind.«[6] Mit den Unruhen in Syrien in diesem Jahr entwickelten sich die grenzüberschreitenden Bewegungen der Aufständischen und der Waffenschmuggel über die jordanische und türkische Grenze zu einem erheblichen Problem für Damaskus. 

In diesem Zusammenhang überrascht es nicht, dass Ariel Scharon und Israel Washington nach der anglo-amerikanischen Invasion des Irak dazu rieten, auch gegen Syrien, Libyen und den Iran vorzugehen.[7] Und schließlich sollte man auch wissen, dass das israelische Strategiepapier auch präemptive Kriege zur Umgestaltung der geostrategischen Umgebung Israels und zur Gestaltung eines »neuen Nahen und Mittleren Ostens« befürwortet.[8] Diese [1996 formulierte] Politik wurde von der amerikanischen Politik 2001 übernommen.


Die Auslöschung der christlichen Gemeinden des Nahen und Mittleren Ostens
Es ist keineswegs ein Zufall, dass die ägyptischen koptischen Christen vor den Unruhen in Libyen und gleichzeitig mit dem Referendum im Sudan und vor der Krise in Libyen Ziel von Angriffen wurden. nd ebenso wenig ist es Zufall, dass die irakischen Christen, die zu den ältesten Gemeinden der Welt gehören, ins Exil gezwungen wurden und ihre angestammte Heimat im Irak verlassen mussten. Zeitgleich zum Exodus der irakischen Christen, der sich unter den wachsamen Augen der amerikanischen und britischen Soldaten vollzog, wurden diese Viertel in Bagdad streng nach konfessionellen Kriterien von Muslimen übernommen, wobei man die schiitischen und sunnitischen Gruppen mit Gewalt und unter Einsatz von Todeskommandos zwang, sich nicht zu mischen, sondern jeweils nach Zugehörigkeit getrennte Enklaven zu bilden. Auch diese Vorgehensweise steht mit dem Yinon-Plan und der Umgestaltung der Region als Teil einer umfassenden Strategie im Zusammenhang. 

Im Iran versuchten die Israelis vergeblich, die iranische jüdische Gemeinschaft zum Verlassen des Landes zu bewegen. Die jüdische Bevölkerung des Iran ist die zweitgrößte im Mittleren Osten und ist wohl die älteste jüdische Gemeinschaft der Welt mit ungebrochener jüdischer Tradition. ie iranischen Juden sehen sich wie ihre muslimischen und christlichen Mitbürger als Iraner mit einer engen Bindung an ihre Heimat. Die Vorstellung, sie müssten jetzt nach Israel umsiedeln, nur weil sie Juden sind, erscheint ihnen absurd. 

Im Libanon versuchte Israel, konfessionelle Spannungen zwischen den verschiedenen christlichen und muslimischen Gruppen sowie den Drusen zu schüren. Der Libanon ist das Sprungbrett nach Syrien, und seine Aufteilung in verschiedene Staaten wird als Mittel gesehen, auch in Syrien eine Aufsplitterung in kleinere konfessionell organisierte arabische Staaten herbeizuführen. Hinter dem Yinon-Plan steht die Absicht, den Libanon und Syrien entlang religiöser und konfessioneller Identitäten von sunnitischen und schiitischen Muslimen, Christen und Drusen in verschiedene Staaten aufzuteilen. Denkbar ist auch das Ziel, auf einen Auszug der Christen aus Syrien hinzuarbeiten. 

Patriarch Béchara Boutros Raï, seit 2011 neues Oberhaupt der maronitisch-syrischen Kirche von Antiochien, der größten autonomen mit Rom verbundenen Kirche des Orients, erklärte vor kurzem, er befürchte Säuberungsaktionen gegen arabische Christen in der Levante und dem Nahen und Mittleren Osten. Der Patriarch und viele andere christliche Führer im Libanon und in Syrien fürchten eine Machtübernahme der Moslembruderschaft in Syrien. Ähnlich wie im Irak kommt es derzeit zu Übergriffen mysteriöser Gruppen auf christliche Gemeinden in Syrien. Die Führer der orthodoxen Kirchen, einschließlich des Patriarchen von Jerusalem, haben ebenfalls öffentlich ihrer tiefen Sorge Ausdruck verliehen. Neben den christlichen Arabern werden diese Befürchtungen auch von assyrischen und armenischen Gemeinden, die in der Mehrzahl christlichen Glaubens sind, geteilt. 

Patriarch Raï hielt sich vor kurzem zu einem Besuch in Frankreich auf, wo er auch mit Staatspräsident Nicolas Sarkozy zusammentraf. Berichten zufolge kam es hinsichtlich Syriens zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Patriarchen und Sarkozy, die Sarkozy zu der Bemerkung veranlassten, das syrische Regime werde zusammenbrechen. Nach Auffassung von Patriarch Raï sollte man sich nicht in die inneren Angelegenheiten Syriens einmischen, sondern Reformen zulassen. Der maronitische Würdenträger wies Sarkozy zudem darauf hin, dass Israel als Bedrohung angesehen werden müsse, wenn Frankreich zu Recht wolle, dass sich die Hisbollah entwaffnen lasse. [Die Hisbollah hatte sich oft ihrer von der UN geforderten Entwaffnung mit dem Argument widersetzt, dass der Grund für den Aufbau der Hisbollah, nämlich die israelische Besatzung, noch nicht aufgehoben sei.] 

Äußerungen in Frankreich brachten Raï den umgehenden Dank führender christlicher und muslimischer Vertreter in der Syrischen Arabischen Republik ein, mit denen er im Libanon zusammentraf. Die Hisbollah und ihre politischen Verbündeten im Libanon, zu denen die meisten christlichen Abgeordneten des libanesischen Parlaments gehören, begrüßten ebenfalls die Äußerungen des Patriarchen, der später zu einer Rundreise durch den südlichen Libanon aufbrach.
Wegen seiner Haltung gegenüber der Hisbollah und seiner Weigerung, sich dem Chor derjenigen anzuschließen, die den Sturz des syrischen Regimes fordern, wurde Patriarch Raï von der Allianz des 14. März, einer Parteienkoalition unter Führung von Saad Hariri, scharf kritisiert. Saad Hariri plant derzeit eine Konferenz christlicher Persönlichkeiten als Gegenpol zu Patriarch Raï und der Haltung der maronitischen Kirche. Nachdem Raï seine Position deutlich gemacht hatte, begann auch die Tahrir-Partei, die sowohl im Libanon als auch in Syrien aktiv ist, ihn zu kritisieren. Berichten zufolge haben hochrangige Vertreter der amerikanischen Regierung als Zeichen ihrer Verstimmung über seine Äußerungen zur Hisbollah und zu Syrien ihr geplantes Treffen mit dem maronitischen Patriarchen abgesagt.
Die von Hariri geführte Allianz des 14. März, die eigentlich eine populäre Minderheit darstellt (auch wenn sie die größte Fraktion im Parlament stellt), arbeitet mit den USA, Israel, Saudi-Arabien, Jordanien und den Gruppen in Syrien, die dort Gewalt und Terror einsetzen, eng zusammen. Die Moslembruderschaft und andere so genannte salafistische Gruppen aus Syrien haben Geheimgespräche mit Hariri und den christlichen politischen Parteien in der Allianz des 14. März geführt. Und hier ist auch der Grund für die Angriffe Hariris und seiner Allianz auf Patriarch Raï zu suchen. Es waren auch Hariri und seine Allianz, die die terroristische Untergrundorganisation Fatah al-Islam in den Libanon brachten und nun einigen ihrer inhaftierten Mitglieder dabei halfen, zu entkommen und als Kämpfer nach Syrien zu ziehen. 

Es existieren unbekannte Scharfschützen, die syrische Zivilisten und die syrische Armee angreifen, um Chaos und innere Auseinandersetzungen zu schüren. Die christlichen Gemeinden in Syrien werden ebenfalls von unbekannten Gruppen angegriffen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es sich bei den Angreifern um eine Koalition amerikanischer, französischer, jordanischer, israelischer, türkischer, saudischer und anderer arabischer Kräfte aus der Golfregion handelt, die mit einigen Syrern insgeheim zusammenarbeiten. 

Washington, Tel Aviv und Brüssel wollen einen Exodus der Christen aus dem Nahen und Mittleren Osten erreichen. Berichten zufolge soll Sarkozy Patriarch Raï in Paris erklärt haben, die christlichen Gemeinden der Levante und des Nahen und Mittleren Ostens könnten sich in der Europäischen Union ansiedeln. Das ist alles andere als ein großherziger Vorschlag. Es ist geradezu eine Ohrfeige der gleichen Mächte, die bewusst die Rahmenbedingungen geschaffen haben, die nun zu einer Auslöschung oder der Vertreibung der seit der Antike im Nahen und Mittleren Osten lebenden christlichen Gemeinden führen könnten. Dahinter scheint das Ziel zu stehen, die christlichen Gemeinden entweder außerhalb der Region umzusiedeln oder sie in Enklaven zusammenzupferchen. Beides sind denkbare Ziele. 

Dieses Vorhaben zielt darauf ab, die arabischen Nationen mittelfristig zu ausschließlich muslimischen Nationen zu machen. Dies steht im Einklang mit dem Yinon-Plan und den geopolitischen Zielen der USA zur Kontrolle Eurasiens.  Am Ende dieser Entwicklung könnte ein größerer Krieg stehen. Die arabischen Christen haben viel mit den schwarzhäutigen Arabern gemeinsam.

Die Neuaufteilung Afrikas: Der Yinon-Plan ist sehr aktuell und wird umgesetzt…

Tel Aviv will sich Afrika als Teil seiner umfassenderen Einfluss-Sphäre sichern. Dieses umfassendere oder so genannte »neue Umfeld« bildete nach 1979 die Grundlage geostrategischer Überlegungen für Israel, nachdem das »alte Umfeld« [sozusagen das Bollwerk] gegen die Araber, zu denen damals auch der Iran gehörte, der unter den Pahlavis zu Israels engsten Verbündeten zählte, instabiler wurde und schließlich mit der iranischen Revolution 1979 ganz zusammenbrach. In diesem Zusammenhang wurde das Konzept eines »neuen Umfelds« entwickelt, in das auch Länder wie Äthiopien, Uganda und Kenia [als Bollwerk] gegen die arabischen Staaten und die Islamische Republik Iran eingeschlossen wurden. Aus diesem Grund beteiligte sich Israel auch so weitgehend an der Balkanisierung des Sudan. 

Im gleichen Zusammenhang wie die konfessionelle Aufteilung des Nahen und Mittleren Ostens haben die Israelis auch Pläne zur Neugestaltung entwickelt. Der Yinon-Plan geht dabei von drei Faktoren als Grundlage der Neuaufteilung aus: 1. ethno-linguistische Kriterien, 2. Hautfarbe und 3. Religion. Um sein »Reich« zu sichern, war es möglich, dass sich das Institut für fortgeschrittene strategische und politische Studien (IASPA), die israelische Denkfabrik, in der auch Perle mitarbeitete, für den Aufbau des amerikanischen militärischen Regionalkommandos für Afrika durch das US-Verteidigungsministerium (AFRICOM) einsetzte.
Es geht hier um den bereits laufenden Versuch, die Entstehung einer gemeinsamen arabisch-afrikanischen Identität zu verhindern. Dazu will man in Afrika klare Trennungslinien zwischen einem so genannten »Schwarzafrika« [im Süden des Kontinents] und einem »nichtschwarzen Nordafrika«  zu ziehen. Dies gehört zu den Plänen, eine Spaltung in Afrika zwischen vermeintlichen »Arabern« und den so genannten »Schwarzen« herbeizuführen. 

Dieses Fernziel steht auch hinter dem absurden Identitätskonflikt eines »afrikanischen« Südsudan und eines »arabischen« nördlichen Sudan, der immer wieder beschworen und geschürt wird. Aus diesem Grunde wurden auch schwarze Libyer zum Ziel einer »farbigen Säuberung«. Die arabische Identität in Nordafrika wird von ihrer afrikanischen Identität abgeschnitten. Gleichzeitig versucht man die zahlenmäßig umfangreiche Gruppe »schwarzer Araber« auszurotten, so dass man eine klare Trennungslinie zwischen »Schwarzafrika« und einem neuen »Nichtschwarzafrika« im Norden ziehen kann, das dann aber Schauplatz von Kämpfen zwischen den verbleibenden »nichtschwarzen« Berbern und den Arabern würde. 

Im gleichen Zusammenhang werden Spannungen zwischen Muslimen und Christen in Afrika, etwa im Sudan und in Nigeria, geschürt, um weitere Risse und Spannungen (und somit weitere »Sollbruchstellen« für Konflikte) zu erzeugen. Indem man diese Spannungen und das Trennende auf der Grundlage von Hautfarbe, Religion, ethnischer Zugehörigkeit und Sprache fördert und schürt, sollen Zwietracht und Uneinigkeit in Afrika als Teil einer umfassenden Strategie gesät werden, mit der man Nordafrika vom Rest des Kontinents abspalten will.

Das geopolitische Schachbrett wird für den »Kampf der Kulturen« vorbereitet
 
Alle Einzelteile müssen jetzt noch zusammengefügt und die Zusammenhänge hergestellt werden. 

Das geopolitische Schachbrett wird für einen »Kampf der Kulturen« vorbereitet, und alle Figuren werden auf dem Schachbrett in Stellung gebracht. Die arabische Welt befindet sich im Prozess der Absperrung, und es werden klar umrissene Abgrenzungslinien geschaffen. Diese Trennungslinien sollen die nahtlosen Übergänge zwischen unterschiedlichen ethno-linguistischen Gruppen, Hautfarben und religiösen Gruppierungen ersetzen. 

Nach diesem Konzept soll es keine gleitenden Übergänge zwischen Gesellschaften und Ländern mehr geben. Aus diesem Grund sind die Christen im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika, wie etwa die Kopten, jetzt in die Schusslinie geraten. Und aus dem gleichen Grund sehen sich schwarzhäutige Araber und schwarzhäutige Berber sowie andere nordafrikanische Bevölkerungsgruppen der Gefahr eines Völkermords in Nordafrika gegenüber. 

Nach dem Irak und Ägypten stehen nun die Libysche Arabische Dschamahiriyya und die Syrische Arabische Republik im Mittelpunkt der regionalen Destabilisierungsbemühungen in Nordafrika beziehungsweise Südostasien. Die weitere Entwicklung in Libyen wird sich in einer Art Dominoeffekt auf Südostasien und darüber hinaus auswirken. Sowohl der Irak als auch Ägypten dienten beide im Sinne des Yinon-Plans als Zünder für die Destabilisierungen Libyens und Syriens.
Dahinter steht das Ziel, einen ausschließlich »muslimischen Nahen und Mittleren Osten« (mit Ausnahme Israels) zu errichten, der in innere Streitigkeiten zwischen Schiiten und Sunniten verstrickt ist. Ein ähnliches Szenario ist für die Region eines »nichtschwarzen Nordafrikas« vorgesehen, die von Streitigkeiten zwischen Arabern und Berbern gekennzeichnet wäre. Parallel dazu sollen der Nahe und Mittlere Osten sowie Nordafrika nach dem Muster des »Kampfes der Kulturen« gleichzeitig in einem Zustand konfliktträchtiger Spannung mit dem so genannten »Westen« und »Schwarzafrika« gehalten werden.
Deshalb erklärten Nicolas Sarkozy in Frankreich und der Premierminister David Cameron in England in der Anfangsphase des Konflikts in Libyen unmittelbar nacheinander, die Zeit des Multikulturalismus in ihren jeweiligen westeuropäischen Gesellschaften gehe zu Ende.[9] Wirklicher Multikulturalismus stellt die Legitimität der Kriegsagenda der NATO infrage und behindert die Umsetzung des Konzepts des »Kampfes der Kulturen«, das den Eckpfeiler amerikanischer Außenpolitik bildet. 

Der frühere amerikanische nationale Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski erläutert, warum Multikulturalismus bei Washington und seinen Verbündeten als Bedrohung gesehen wird: »In dem Maße, in dem Amerika zunehmend multikultureller wurde, wuchsen die Schwierigkeiten, in politischen Fragen einen Konsens zu finden [zum Beispiel Krieg mit der arabischen Welt, China, dem Iran, oder Russland und der früheren Sowjetunion]; eine Ausnahme bildete nur eine wirklich massive und allgemein anerkannte direkte Bedrohung von außen. Ein solcher Konsens existierte im Zweiten Weltkrieg und selbst während des Kalten Krieges [und existiert heute aufgrund des »weltweiten Krieges gegen den Terror«].«[10] Brzezinskis nächster Satz betrifft das Kriterium, aufgrund dessen Bevölkerungen Kriege unterstützen oder sich ihnen widersetzen würden: »[Der Konsens] gründete aber nicht nur darin, dass man tiefempfundene gemeinsame Werte teilte, die nach Ansicht der Öffentlichkeit bedroht seien, sondern auch in einer kulturellen und ethnischen Wesensverwandtschaft mit den vorwiegend europäischen Opfern eines feindlichen Totalitarismus.«[11] 

Auch wenn es vielleicht den Eindruck einer Litanei erweckt, sollte noch einmal darauf hingewiesen werden, dass dies genau der Absicht entspricht, die kulturellen Affinitäten zwischen der Region des Nahen und Mittleren Ostens sowie Nordafrikas (MENA) und der sogenannten »westlichen Welt« und dem Afrika südlich der Sahara aufzubrechen, und der Grund dafür ist, dass gegen Christen und Menschen mit schwarzer Hautfarbe vorgegangen wird.

Ethnozentrismus und Ideologie: die heutige Rechtfertigung »gerechter Kriege«
In der Vergangenheit haben die westeuropäischen Kolonialmächte ihre Völker indoktriniert, um auf diese Weise die Unterstützung der Öffentlichkeit für ihre kolonialen Eroberungen zu gewinnen. Dazu verbreitete man den christlichen Glauben und förderte christliche Werte mit Unterstützung bewaffneter Händler und von Kolonialarmeen. 

Die Menschen, deren Land man kolonialisierte, wurden als »Untermenschen«, als »unterlegen« oder »seelenlos« bezeichnet. Schließlich wurde sogar das Bild bemüht, der »weiße Mann« müsse »die Bürde schultern« [ein Anspielung auf das Gedicht »The White Man's Burden« von Rudyard Kipling] und die Aufgabe übernehmen, die sogenannten »unzivilisierten Völker der Welt« zu zivilisieren. Dieser geschlossene ideologische Rahmen stellte »Kolonialismus« als eine »gerechte Sache« dar. Und letzteres wurde dann im Gegenzug als Rechtfertigung herangezogen, »gerechte Kriege« als Mittel zur Eroberung und »Zivilisierung« fremden Bodens zu führen. 

Die heutigen imperialistischen Vorstellungen der USA, Englands, Frankreichs und Deutschlands haben sich demgegenüber kaum verändert. Lediglich die Vorwände und Rechtfertigungen der neokolonialen Kriege sind andere geworden. In der Kolonialzeit wurden die Darstellungen und Rechtfertigungen der Kriege von der öffentlichen Meinung in den Kolonialmächten wie England und Frankreich geteilt. Die heutigen »gerechten Kriege« und »gerechten Anliegen« werden unter dem Banner von Frauenrechten, Menschenrechten, humanitären Grundsätzen und Demokratie geführt.


Mahdi Darius Nazemroaya ist ein Soziologe und Schriftsteller aus Ottawa (Kanada), der sich auf den Nahen Osten und Zentralasien spezialisiert hat. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Centre for Research on Globalization (CRG).

Dieser Artikel erschien unter dem Titel: Preparring the Chessboard for the "Clash of Civilizations: - Divide, Conquer, and Rule the "New Middle East"
Quelle: Global Research, Centre for Research on Globalization (CRG) vom 11.26.2011



Anmerkungen
[1] Richard Perle et al., A Clean Break: A New Strategy for Securing the Realm, Washington/Tel Aviv, Institute for Advanced Strategic and Political Studies (IASPS), 1996.
[2] Ebenda.
[3] Ebenda.
[4] Ebenda.
[5] Barak Ravid, »Israeli diplomats told to take offensive in PR war against Iran«, in: Haaretz, 1. Juni 2009.
[6] Perle et al., Clean Break, op. cit .
[7] Aluf Benn, »Sharon says US should also disarm Iran, Libya and Syria«, in: Haaretz, 30. September 2009.
[8] Richard Perle et al., Clean Break, op. cit.
[9] Robert Marquand, »Why Europe is turning away from multiculturalism«, In: Christian Science Monitor, 4. März 2011.
[10] Zbigniew Brzezinski, The Grand Chessboard: American Primacy and Its Geostrategic Imperatives, New York, 1997, S. 211 (in deutscher Sprache 1997 unter dem Titel Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft erschienen).
[11] Ebenda.

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