Mittwoch, 16. Februar 2011

US-Bundesstaaten stehen kurz vor dem Bankrott

Auch Los Angeles muss sparen:
Der Bundesstaat Kalifornien kann
ein Drittel seines Budgets nicht finanzieren.

Den US-Staaten fehlen 125 Milliarden Dollar, einige stehen kurz vor der Pleite. Kalifornien und Texas geht es besonders schlecht.
Als Generalstaatsanwalt von New York hat Andre Cuomo in viele Abgründe geblickt. Cuomo legte sich mit Versicherungen an, die todkranken Patienten die Behandlung verweigerten. Er setzte sich für junge Leute ein, die beim Studienkredit betrogen wurden. Und er versuchte, die Wall Street Banken für ihre Schuld an der Finanzkrise zur Verantwortung zu ziehen. Doch nichts hat Andre Cuomo in dieser Zeit so sehr schockieren können, wie der öffentliche Haushalt, mit dem er es als neu gewählter Gouverneur von New York zu tun hat.


Dieser spiegle genau jene betrügerischen Praktiken wieder, die er als Generalstaatsanwalt in der Privatwirtschaft bekämpft habe, schrieb Cuomo vor wenigen Tagen in einem Zeitungsbeitrag. Zehn Milliarden Dollar fehlen Cuomo, um einen ausgeglichen Haushalt vorzulegen, wozu er laut Verfassung verpflichtet ist. So stark müssten die Einnahmen steigen oder die Ausgaben sinken. Letzteres ist auf Grund der Nachwehen der Rezession kaum möglich. Die Steuern kann er auch schlecht anheben, da dies dem zaghaften Aufschwung schaden könnte.  


Der Ausweg aus dem Dilemma ist bislang sein Geheimnis. Und so fühlt man sich unweigerlich an die 70er Jahre erinnert, als die „NY Daily News“ auf der Titelseite Präsident Gerald Ford zitierte. Dieser soll Hilfsgelder an New York angeblich mit den Worten ausgeschlossen haben: „Drop Dead“, was so viel bedeutet wie „dann geh eben zu Grunde.“ Ob sich Amerika traut, seine klammen Bundesstaaten zu Grunde gehen zu lassen, ist heute wieder die Frage. Bislang kam es erst einmal in der Geschichte der USA dazu. 1933 konnte Arkansas seine Schulden nicht mehr bedienen und wurde für zahlungsunfähig erklärt.
Glaubt man Newt Gingrich, dem potenziellen Präsidentschaftskandidaten der Republikaner, war das keine schlechte Idee. Der ehemalige Sprecher des US-Repräsentantenhauses sorgte vor wenigen Wochen für helle Aufregung in Washington, als er diesen Vorschlag ernsthaft vorbrachte. Seine Landsleute hätten genug davon, mit Steuergeld für andere aufkommen zu müssen, seien es Banken, Unternehmen oder nun eben strauchelnde Bundessaaten wie Kalifornien und Illinois.
Noch fehlt ihm dafür die politische Unzerstützung. Noch wird diese Idee regelmäßig so schnell verworfen, wie sie ausgesprochen wurde. Doch noch haben nicht alle Staaten ihr Budget verabschiedet. Erst dann wird ihre dramatische Finanzlage offenbar werden. „Es ist sicherlich nicht wünschenswert, aber am Ende könnte es darauf hinauslaufen, auch Bundesstaaten Pleite gehen zu lassen“, sagt Ronald Mann von der Columbia Universität in New York. Er zählt zu den wenigen Befürwortern dieser Idee. „Eine Insolvenz ist schließlich kein Grund, alle Zahlungsverpflichtungen einfach zu streichen. Sie ist vielmehr eine Chance, die Parteien an den Verhandlungstisch zurück zu bringen.“


In den US-Gemeinden spielt sich ein Drama ab


Normalerweise geht man auf die Bundesebene, um den Zustand der Staatsfinanzen zu beschreiben. Hier rechnet der parteiunabhängige Rechnungshof des Kongresses (CBO) mit einem Fehlbetrag von 1,48 Billionen Dollar, so viel wie nie zuvor in der Geschichte der Vereinigten Staaten und knapp zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Das ist schlimm, aber eher ein langfristiges Problem. Unmittelbar zu spüren bekommen die Menschen jedoch, wenn die Finanzen der Bundesstaaten und Gemeinden außer Kontrolle geraten sind.


Denn aus diesen Budgets werden Feuerwehr Polizei, Schwimmbäder und Bibliotheken bezahlt. Hier spielt sich für die Amerikaner derzeit das eigentliche Drama an. Denn fürs Haushaltsjahr 2012, das für die meisten am 1. Juli beginnt, schätzt das Center on Budget and Policy Priorities (CBPP) die Lücke auf fast 125 Milliarden Dollar. Dabei hat Amerika in den vergangenen Monaten fast erleichtert auf Europa geblickt. Die Finanzkrise hatte zwar ihren Ursprung in den USA. Doch zuletzt sah die Lage in Europa deutlich schlechter aus.
Euro-Sorgenkinder


So musste Griechenland im April 2010 um Notfallkredite in Höhe von 110 Milliarden Euro bitten. Das einstige Vorzeigeland Irland musste sich unter den Rettungsschirm der EU flüchten. Und wie es mit Portugal, Spanien und Italien weiter geht, ist noch unsicher. Wie viel stabiler erschienen dagegen die USA, in denen kein Bundesstaat darum bangen muss, wegen unsolider Finanzen aus dem Staatenbund verstoßen zu werden. Besonders schlecht stehen dort momentan Kalifornien und Texas da, die jeweils ein Drittel ihres Budgets nicht finanzieren können.
In Nevada und Illinois sind es sogar 45 Prozent. Ihnen macht die nur auf dem Papier überstandene Rezession zu schaffen. „Die Steuereinnahmen der Staaten sind stark konjunkturabhängig“, so US-Analyst Bernd Weidensteiner von der Commerzbank. Sie seien während der Rezession so sehr zurückgegangen wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr und hätten ihr altes längst nicht wieder erreicht. Im kommenden Jahr wird es für die Staaten noch unangenehmer, da dann größere Zuweisungen aus dem Konjunkturpaket wegfallen. Sie sind darauf angewiesen, dass die Wirtschaft stark anzieht.
Aber selbst dann haben sie ihr Hauptproblem nicht gelöst – die Pensionen für die ehemaligen Staatsbediensteten. Noch vor zehn Jahren hatten sie dafür ausreichend Mittel. Doch nach Schätzung von Weidensteiner ist der Deckungsgrad, der das Verhältnis der Aktiva zu den Verpflichtungen wieder gibt, auf etwa 78 Prozent im Jahr 2009 gefallen. So groß ist die Lücke, die nicht durch die vorhandenen Mittel geschlossen werden kann. Dass dieses Problem so einfach durch ein Insolvenzverfahren verschwindet, wie es sich Newt Gingrich vorstellt, ist unwahrscheinlich.
Anders als Bundesstaaten können Städte, Gemeinden und Landkreise auch bisher schon Insolvenz nach Kapitel neun des amerikanischen Insolvenzrechts beantragen. Doch läuft dies deutlich anders ab als der Sanierungsprozess, den etwa der Autokonzern General Motors im Sommer 2009 vollzog.
„Der Fall landet zwar ebenfalls vor dem Insolvenzrichter, aber der kann nur sehr wenig Einfluss nehmen“, sagt James Spiotto von der Anwaltskanzlei Chapman and Cutler in Chicago. „Anders als in der Privatwirtschaft kann er den Gouverneuren nicht vorschreiben, wie sie die Finanzen in Ordnung bringen sollen.“ Dazu kommen erhebliche Nebenwirkungen. Die Risikoaufschläge auf die Anleihen der Bundesstaaten würden drastisch steigen. Sich zu verschulden würde für die Staaten dadurch viel teurer.


Arkansas ging als einziger Staat je pleite


Daher schrecken selbst Städte und Gemeinde in der Regel vor diesem letzten Schritt zurück. Das jüngste Beispiel ist Vallejo in Kalifornien. Die 121.000 Einwohner große Stadt in der Nähe von San Francisco kapitulierte 2008 und meldete Insolvenz an. Hier war der öffentliche Haushalt völlig außer Kontrolle geraten. Polizisten und Feuerwehrleute konnten mit 50 Jahren in Rente gehen und bekamen weiterhin 90 Prozent ihres Gehaltes bezahlt. Das gleiche galt für die Ehepartner.
Ein Polizist in gehobener Stellung kam in Vallejo auf ein sehr ordentliches Jahresgehalt von 300.000 Dollar, ein Feuerwehrmann auf 171.000 Dollar. Da die Stadtverwaltung keine Möglichkeit sah, diese Verträge in Verhandlungen zu verändern, wählte sie schließlich die Insolvenz. Im vergangenen Monat legte die Stadt ihren Sanierungsplan vor. Er sieht Kürzungen bei Gehältern und Abstriche bei der Gesundheitsversorgung der Pensionäre vor. Von den 50 Millionen Dollar, die Vallejo noch schuldet, wird die Stadt wohl nur ein Zehntel bedienen.
Video


Neuer US-Kongress setzte Obama unter Druck
Der einzige Bundesstaat, der je Pleite ging, war Arkansas. Der Staat verschuldete sich in den 20er Jahren stark, um Straßen für die gerade aufstrebende Autoindustrie zu bauen. Als der Mississippi in Folge eines Hochwassers über die Ufer trat und nicht nur ein Drittel der neu gebauten Straßen überschwemmte sondern mit den Baumwollfeldern auch die wichtigste Einnahmequelle vernichtete, war Arkansas am Ende.

Der Staat konnte seine Schulden nicht mehr bedienen. Dieser Erfahrung war Arkansas wirtschaftlich um Jahre zurück. Erst 1949 wurde die wieder eine Anleihe zur Finanzierung von Infrastrukturprojekten aufgelegt.
Ob Präsident Ford tatsächlich die Worte „drop dead“ gebraucht hat, als New York 1975 kurz vor der Pleite stand, ist umstritten. Fest steht, dass der klamme Bundesstaat zwei Monate später Geld aus Washington bekam. Ford jedoch wurde nicht wieder ins Weiße Haus gewählt und schob dies später auch auf jene unglückliche Formulierung, die er so vielleicht gar nicht gebraucht hat.

Newt Gingrich mag daher sicherlich vielen Landsleuten aus der Seele sprechen, wenn er die Bundesstaaten mit ihren finanziellen Problemen alleine lassen will. Politisch nützen wird es ihm kaum.

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